Wenn sich die Führer der G8-Staaten Anfang Juni in Heiligendamm zu ihrem jährlichen Gipfel treffen, bietet sich ihnen die einzigartige Gelegenheit, den armen Ländern bei der Lösung eines ebenso riesigen und drängenden Problems unter die Arme zu greifen: Die Gesundheitsversorgung der dreieinhalb Millionen Menschen in den armen Regionen dieser Welt zu bezahlen, die mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen müssen. Sie haben kaum eine Wahl: Entweder sie zahlen direkt für die medizinische Behandlung, geben sich mit schlechter Versorgung zufrieden oder verzichten ganz darauf.
Krankheit und die damit verbundenen Kosten stellen riesige Hindernisse dar, der Armut zu entfliehen oder ihr nicht zu verfallen, und zwar sowohl für einzelne Familien wie für ganze Länder. Mehr als drei Fünftel der gesamten Gesundheitsausgaben in den Ärmsten Ländern der Welt bringen die Menschen aus der eigenen Tasche auf. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass diese Direktzahlungen Jahr für Jahr mehr als 104 Millionen Haushalte in die Armut treiben oder noch tiefer hineinstoßen. In den G8-Staaten und anderen reichen Ländern bringen die Menschen hingegen weniger als ein Fünftel der Gesundheitsausgaben aus der eigenen Tasche auf.
Direkte Bezahlung bei Inanspruchnahme medizinischer Versorgung ist die ungerechteste und ineffizienteste Form der Gesundheitsfinanzierung. Sie sind ungerecht, weil die am schwersten Kranken am meisten bezahlen müssen. Und sie sind ineffizient, weil sie die Unvorhersehbarheit von Gesundheitsproblemen unberücksichtigt lassen. Fällt die Bezahlung medizinischer Leistungen mit dem akuten Bedarf zusammen, führt das oft zum finanziellen Ruin von gut situierten Haushalten und zwingt vor allem arme Familien, die medizinischen Behandlungskosten von anderen wesentlichen Ausgaben wie Nahrung oder Schulgeld der Kinder abzuknapsen oder sich zu verschulden.
Die Welt steht förmlich auf dem Kopf: Die Ärmsten Bewohner dieses Planeten, denen katastrophale Konsequenzen drohen, tragen die größte Krankheitslast, während die Menschen in den reichsten Ländern durch staatliche Gesundheitssysteme, Sozialversicherungen oder auch private Krankenkassen abgesichert sind.
Das hat teilweise fatale Folgen: So berichtet Human Rights Watch, dass Regierungskrankenhäuser im afrikanischen Burundi routinemäßig Patienten, die ihre Rechnungen nicht bezahlen können, einsperren und monatelang unter miserablen Bedingungen festhalten. In anderen Ländern verweigern Ärzte und Krankenhäusern Millionen Menschen die Behandlung oder kümmern sich nicht um Hilfesuchende.
Während sich ein Großteil der internationalen Hilfe auf Krankheiten wie HIV/AIDS und gefürchtete Bedrohungen der weltweiten Gesundheit und Sicherheit durch Pandemien konzentriert, fordert der unsichtbare Verarmungseffekt durch Direktzahlungen im Krankheitsfall einen hohen Tribut an Leben und Entwicklungschancen. Ebenso besorgniserregend ist die Tatsache, dass die erheblich stärker beachteten Bemühungen im Kampf gegen tödliche Krankheiten wie Malaria zu kurz greifen und an Gesundheitssystemen sowie an Geldmangel scheitern.
Dieses Problem ist keineswegs neu, aber es gibt innovative Ansätze, die neue Hoffnung wecken. Dafür aber müssen die G8-Staaten und andere wohlhabende Länder alle Bemühungen unterstützen, diese Erfahrungen in größerem Umfang umzusetzen.
Fortschritte beim Aufbau landesweiter Krankenkassen in Kolumbien, Mexiko, Thailand und etlichen anderen Ländern belegen das große Potenzial der Einbeziehung breiter Bevölkerungsanteile in Versicherungsstrukturen. Wie die G8-Staaten aus eigener Erfahrungen nur allzu gut wissen, kann dies die Lage der Armen maßgeblich verbessern. In Indien, wo die Privathaushalte vier Fünftel der Gesundheitsausgaben selber aufbringen, hat eine Nicht-Regierungs-Organisation genossenschaftliche Krankenkassen aufgebaut, bei denen mittlerweile mehr als zwei Millionen Menschen versichert sind.
Neue Initiativen überwinden auch herkömmliche Beschränkungen in den Ärmsten Ländern Afrikas. So sind in Ruanda immerhin 70 Prozent der Bevölkerung in Gemeindeversicherungen erfasst, die mit Regierungsmitteln und internationalen Hilfsgeldern gewachsen sind und den Ärmsten der Armen vollständig subventionierte, kostenlose Gesundheitsversorgung bieten. Eine neue, von der niederländischen Regierung unterstützte Krankenversicherung in Nigeria bietet Arbeitern im informellen Sektor finanzielle Absicherung gegen Krankheitsfolgen.
Solche erfolgreichen Ansätze zeigen einerseits, wie wichtig eine behutsame Anpassung an lokale Gegebenheiten ist; aber sie sind auch frustrierenden Zielkonflikten und Kompromissen zwischen der Ausweitung auf weitere Bevölkerungsgruppen und der finanziellen Lebensfähigkeit ausgesetzt. Die Lösung liegt auf der Hand: Ohne Unterstützung des Staates geht es nicht. Die G8-Staaten haben diesen Weg historisch gebahnt, indem sie dafür sorgten, dass die finanzielle Krankheitslast von den Kranken alleine auf Gesunde und Kranke verteilt ist. Entwicklungsländer verspüren denselben Wunsch, und es sollte vorrangiges Ziel der G8 sein, ihnen dabei zu helfen.
Was müssen die G8-Staaten dafür tun? Erstens sollte das Abschlusskommuniqué in Heiligendamm das Prinzip deutlich unterstützen, dass die finanzielle Absicherung der Armen gewährleistet wird, und zwar als eine entscheidende Maßnahme zur Verbesserung der Gesundheitssituation und zur Verringerung der Armut.
Zweitens sollte die G8 dringend eine verantwortliche Planung vorantreiben, um die Abhängigkeit von gesundheitsbezogener internationaler Hilfe in einheimische Finanzierung umzuwandeln, die eine weitere und fairere Verteilung der finanziellen Krankheitslast erforderlich macht. Die internationale Hilfe für Gesundheit stieg allein zwischen 2002 und 2005 um 70 Prozent und damit schneller als jedes andere Feld der Entwicklungshilfe. Diese beispiellose Ausweitung ist zwar ein großer Ansporn, aber weder ausreichend noch nachhaltig.
Drittens sollte die G8 darauf drängen, dass globale Initiativen unmittelbar in die Stärkung nationaler Gesundheitsfinanzierungssysteme investieren und dabei Vergleichswerte festlegen müssen, welchen Ausgabenanteil die Menschen aus der eigenen Tasche zu zahlen haben und wie viel auf Finanzierungsformen mit besserer Verteilung der Lasten entfällt. Die G8 sollten außerdem die Notwendigkeit unterstreichen, weltweit und auf lokaler Ebene die Fähigkeit zu entwickeln, praktikable langfristige Finanzierungsstrategien in den Gesundheits- und Entwicklungsplänen der Länder zu verankern.
Viertens sollten die G8-Staaten genügend Geld bereitstellen, um dieses Programm voranzubringen. Mit einer halben Milliarde US-Dollar – einem Almosen im Vergleich zu den jährlichen Militärausgaben – ließen sich solche geistreichen Ansätze bestärken, die pro Dollar erheblich größere Wirkung haben und die Stärken öffentlicher und privater Initiativen nutzbar machen würden. Doch es braucht weitaus mehr. Aber wenn die G8-Führer im laufenden Jahr nur dies umsetzen, können sie vielleicht eines Tages zurückblicken und eine gerechtere Welt sehen, in der Milliarden armer Menschen ihren Weg zu einem besseren Leben und besseren Lebensumständen finden.
Commentary
Op-edKrankenkassen fur die Armsten
May 30, 2007